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Universelle Gerichtsbarkeit und transnationale Gerichtsprozesse zwischen Spanien, Argentinien und Chile

Mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wurde 2002 eine feste Instanz zur Bestrafung von Menschenrechtsverbrechen geschaffen. Auch die Militärdiktaturen in Spanien, Argentinien und Chile wurden in der global vernetzten Welt nach dem Kalten Krieg juristisch neu betrachtet.

„Besser spät als nie“ und „Gerechtigkeit jetzt!“ – solche Schilder reckten zahlreiche Demonstranten im Oktober 1998 vor dem London Bridge Hospital in die Höhe, wo sich der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet zur Kur aufhielt und nun durch einen internationalen Haftbefehl unter Hausarrest gesetzt fand. Die Nachricht von der Anklage Pinochets durch den Madrider Ermittlungsrichter Baltasar Garzón wegen der Ermordung 194 spanischer Staatsbürger schlug in Großbritannien, Chile, aber auch Spanien wie eine Bombe ein. Während das britische Oberhaus als höchstrichterliche Instanz für eine Auslieferung Pinochets nach Spanien plädierte, wurde der juristische Prozess schnell zu einem Politikum. Sprachen sich die Pinochet-freundlich gesinnten Ex-Regierungschefs Margaret Thatcher und George H.W. Bush dafür aus, dass diesem nur in seinem eigenen Land der Prozess gemacht werden könne, so unterstützte die Hohe Kommissarin der UN für Menschenrechte Mary Robinson das britische Urteil. Auch wenn Innenminister Jack Straw nach zwei Jahren juristischem Tauziehen Pinochet nach Chile abreisen ließ, so stellte der Prozess vor allem für Spanien einen Wendepunkt dar.

Da das Berufungsgericht der Audiencia Nacional Garzóns Grundauffassung Recht gab, dass nationalstaatliche Amnestiegesetze wie der chilenische Erlass von 1978 nicht über dem spanischen Recht standen, entwickelte sich Madrid bald zum zentralen Hub der universellen Gerichtsbarkeit. Wichtigster Protagonist blieb Ermittlungsrichter Garzón, der 2005 den in Spanien lebenden Folterer der argentinischen Militärdiktatur Adolfo Scilingo vor den Obersten Gerichtshof Spaniens zerrte. Scilingo war maßgeblich an den sogenannten „Todesflügen“ beteiligt eine Praxis, bei der betäubte Häftlinge aus Flugzeugen und Helikoptern über der Bucht des Río de la Plata abgeworfen wurden, um im Atlantik zu ertrinken. Er wurde zu 640 Jahren Gefängnis verurteilt, auch weil sich Argentinien kooperationsbereit zeigte – eine Strafe, die 2007 nach dem Bekanntwerden weiterer Fälle auf 1084 Jahre Haft erhöht wurde. Das spanische Paradoxon bestand darin, dass die Madrider Gerichte nun zwar weltweit gegen amnestierte Menschenrechtsverbrecher tätig wurden, die eigene problematische Vergangenheit des Franco-Regimes jedoch weiterhin durch das spanische Amnestiegesetz von 1977 unangetastet blieb. So scheiterte Garzón 2008 mit einer Klage vor der Audiencia Nacional zur Aufklärung des Verbleibs von 130.000 Verschwundenen des Bürgerkriegs.

Im Jahr 2013 wurde die argentinische Richterin María Romilda Servini dann in umgekehrter Richtung tätig. Bereits 2010 hatten zwei in Argentinien lebende Spanier Klage gegen die Menschenrechtsverbrechen des Franco-Regimes erhoben, denen sich in zwei Jahren 5.000 weitere Kläger anschlossen. Servini schrieb internationale Fahndungs- und Haftbefehle gegen vier Angehörige der spanischen Sicherheitskräfte aus, die jedoch 2014 durch die Audiencia Nacional unter Berufung auf das spanische Amnestiegesetz von 1977 abgelehnt wurden. Servini erhob daraufhin Klage gegen 20 hochrangige Politiker, die den letzten Franco- beziehungsweise ersten UCD-Regierungen von Adolfo Suárez angehörten so Ex-Innenminister Rodolfo Martín Villa und Ex-Bauminister José Utrera Molina. Trotz der Feststellung des UNO-Sonderberichterstatters für die Förderung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nichtwiederholung, Pablo de Greiff, dass Spanien dazu verpflichtet sei, die Angeklagten zu belangen, verweigerte das spanische Kabinett 2015 die Auslieferung. So bleibt das Primat der internationalen Gerichtsbarkeit in Spanien bisher unerfüllt.

Politisches Exil und Erinnerungstransfer in Brasilien

Eine transnationale Verflechtung zwischen Portugal und Brasilen wurde gerade in der jüngsten Geschichte erneut evident. Während der Nelkenrevolution waren beide Länder beliebte Ziele des (politischen) Exils. Gerade in Bezug auf die Kommemorationen des 25. Aprils ist eine kulturelle Druchlässigkeit zwischen den Ländern festzustellen.   

„Als Spínola mit der Hilfe Brasiliens in Portugal einfallen wollte“. So titelt Manuel Carvalho am 27. April 2014 im Público. António de Spínola – der portugiesische Charles de Gaulle mit Monokel – kommandierte in den Diensten des Estado Novo zwischen 1968-1973 die portugiesischen Truppen im Kolonialkrieg in Guinea-Bissau. In der Endphase der Diktatur erregte er mit seinem regimekritischen Buch Portugal e o Futuro (1974) Aufmerksamkeit. Durch seinen Ungehorsam zog er das Interesse der militärischen Opposition auf sich. Am 25. April 1974 wurde er durch die MFA zum ersten Präsidenten der Transition erkoren. Rasch eckte der konservative Spínola an, musste am 30. September 1974 zurücktreten und schließlich nach einem missglückten Putschversuch am 11. März 1975 über Spanien und Argentinien in das brasilianische Exil flüchten. Das Placet der Führung der brasilianischen Militärdiktatur auf das Asylgesuch Spínolas belastete die luso-brasilianischen Beziehungen. Denn in Brasilen gründete der umtriebige General die „Demokratische Bewegung zur Befreiung Portugals“ (MDLP), die gegen die Entwicklungen im Mutterland agitierte und zu einem bis heute in der Forschung wenig beachteten Störfaktor der demokratischen Konsolidierung in Portugal wurde. Internationale Aufmerksamkeit erregte die Veröffentlichung erneuter Putschpläne Spínolas durch Günter Wallraff Anfang April 1976.

Noch vor der Aufnahme Spínolas beherbergte die brasilianische Militärdiktatur bereits zwei prominente Exilanten der gestürzten portugiesischen Diktatur – den einstigen Ministerpräsidenten, Marcello Caetano und den Staatspräsidenten Américo Tomás. Vor allem Caetano konnte in Brasilien schnell Fuß fassen. Am 1. Juni 1974 wurde er als Professor für Vergleichendes Recht in Rio de Janeiro an der Universität Gama de Filho berufen. Neben seiner aktiven professionellen Tätigkeit lag Caetano im Exil einiges daran, die Erinnerung an ihn, Salazar und den Estado Novo zu prägen. Insbesondere seine „Stellungnahme“ (Depoimento) zur Nelkenrevolution sorgte im Jahr 1974 für erhebliche Spannungen in den luso-brasilianischen Beziehungen, da man in Brasília den portugiesischen Forderungen des Verbots einer Veröffentlichung des Buches nicht entsprach. Auch die Wirkung weiterer revisionistischer Werke Caetanos – A Verdade Sobre 25 de Abril (1976), Minhas Memórias de Salazar (1977) – sowie Thomás’ – Últimas Decadas de Portugal (1980) – auf die portugiesische Erinnerungskultur verdienen eine Untersuchung.

Dass der 25. April in Portugal ein weit verbreitetes Phänomen darstellt, wurde bereits an anderer Stelle erörtert. Tatsächlich transzendieren die Feierlichkeiten die nationalen Grenzen Portugals und werden in kleinerem Rahmen auch in anderen europäischen Ländern und vor allem in Brasilien begangen. Die Transnationalisierung dieser portugiesischen Kommemorationspraxis kann anhand des „Kulturzentrums 25. April“ in São Paulo demonstriert werden. Gegründet wurde es 1982 durch den gebürtigen Portugiesen Ildefenso Octávio Severino Garcia, der mit 18 Jahren nach Brasilien emigrierte. Parallel zu den Feierlichkeiten in Portugal veranstaltet das Kulturzentrum am 25. April Tagungen, um der Nelkenrevolution in Portugal zu gedenken. Ebenfalls in São Paulo befindet sich das Monument „Pforte des Aprils“, das 2001 vom portugiesischen Bildhauer José Manuel Aurélio gefertigt und der brasilianischen Stadt gestiftet wurde.