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Nachlese Tagung "Das schwere Erbe des 20. Jahrhunderts"

Die Fachtagung „Das schwere Erbe des 20. Jahrhunderts. Die transnationale Aufarbeitung der iberoamerikanischen Diktaturen“ beschäftigte sich mit der Transitional Justice der Diktaturen in Portugal (1926-1974), Spanien (1936-1975), Brasilien (1964-1985), Chile (1973-1990) und Argentinien (1976-1983). Vortragende waren unter anderem Prof. Dr. Walther L. Bernecker, Prof. Dr. Ludger Mees, Prof. Dr. Detlef Nolte, Dr. Ulrike Capdepón, Dr. Nina Schneider und Dr. Antonio Muñoz Sánchez. 

 

Auf der zweitägigen Fachtagung „Das schwere Erbe des 20. Jahrhunderts. Die transnationale Aufarbeitung der iberoamerikanischen Diktaturen“ wurde der Umgang mit Diktaturen in den demokratischen Gesellschaften Portugals, Spaniens, Argentiniens, Brasiliens und Chiles diskutiert. In seiner Einführung problematisierte Gastgeber Prof. Dr. Peter Hoeres das Themenfeld der Transitional Justice – den Umgang mit Diktaturen in Form von Untersuchungskommissionen, juristischen Prozessen, Entschädigungszahlungen, Lustrationen in Polizei, Militär und Sicherheitsdiensten, aber auch durch Vermittlung der problematischen Vergangenheit im Bildungssystem, kulturellen Artefakten und durch das Einrichten von Museen, Denkmälern und Gedenkstätten. Hierbei konzedierte Hoeres ein erinnerungspolitisches Paradoxon. Je länger die Diktaturen zurücklägen, desto strenger und umfassender würden sie aufgearbeitet, befördert von einer vereinfachten Abgrenzung durch den Generationenwechsel.

Insofern stellen die demokratischen Übergänge nach dem Zusammenbruch der rechtsautoritären Regime der iberoamerikanischen Staaten einen besonderen Betrachtungsgegenstand dar. So präsentierte Prof. Dr. Detlef Nolte in seinem Vortrag zum konstitutionellen Erbe der Pinochet-Diktatur Umfragewerte und Statistiken, die aufzeigten, wie gespalten die chilenische Bevölkerung noch heute zum Militärputsch vom 11. September 1973 sowie zur Legitimationsbasis der Unidad Popular-Regierung von Präsident Salvador Allende stehen. Dr. Nina Schneider illustrierte die Gleichgültigkeit in der brasilianischen Gesellschaft zur zwanzigjährigen Militärdiktatur während Prof. Dr. Walther L. Bernecker den Sonderfall Spaniens herausstellte, in dem die Grabenkämpfe des Spanischen Bürgerkriegs noch immer für aktuelle politische Debatten reaktiviert werden.

Zu klassischen Maßnahmen der Transitional Justice kam es nur in Argentinien während in Spanien, Brasilien und Chile Amnestieregelungen die Träger des Regimes vor strafrechtlicher Verfolgung schützten. In Spanien – so zeigten die Vorträge von Dr. Ulrike Capdepón und Prof. Dr. Walther L. Bernecker – wurde mit den Gesetzen zur historischen Erinnerung (2007) und zur demokratischen Erinnerung (2022) Grundlagen geschaffen, um die Rechtsprechung des Franco-Regimes zu delegitimieren. In Brasilien förderte eine Wahrheitskommission die Verbrechen des Militärregimes zutage, was aber zu keinerlei rechtlichen Konsequenzen führte. Im Fall Chiles ist die Pinochet-Verfassung von 1980 nach wie vor in Kraft. Für Portugal zeigten Joe David Green und Holger Kohler weichere Maßnahmen der Transitional Justice wie die Umgestaltung des öffentlichen Raumes in Lissabon und die Musealisierung des ehemaligen Konzentrationslagers Tarrafal auf den Kapverden.

Ferner rückten regionale Teilaspekte der Aufarbeitung in den Fokus der Konferenz. Dr. Nina Schneider verdeutlichte das Nebeneinander der offiziellen nationalen Wahrheitskommission und regionaler, zivilgesellschaftlicher Aufarbeitungskomitees in Brasilien während Prof. Dr. Ludger Mees die longue durée des baskischen Nationalismus thematisierte.

Auf transnationaler Ebene zeigte Dr. Ulrike Capdepón auf, wie der Pinochet-Prozess (1998) und die argentinische Klage gegen Menschenrechtsverbrechen der Franco-Diktatur (seit 2010) Debatten über die diktatorische Vergangenheit in Spanien auslösten. Die Beiträge von Dr. Antonio Muñoz Sánchez und Dr. Lasse B. Lassen stellten dagegen den Einfluss der Bundesrepublik auf die Transitionsprozesse in Spanien und Portugal heraus. Elitenkooptation, Parteienarbeit und Abstimmung in multilateralen Foren dienten dazu, den Machtambitionen der iberischen KPs einen Riegel vorzuschieben.    

Waren die Opfergruppen der rechtsautoritären Diktaturen in Portugal, Spanien, Argentinien, Brasilien und Chile vor allem oppositionelle Sozialisten und Kommunisten, so zeigten die Vorträge von Dr. Nina Schneider, Prof. Dr. Ludger Mees und Holger Kohler wie andere Opfergruppen zunehmend darauf drängten, dass auch ihre Geschichte erzählt wurde. Brasilianische Indigene, baskische Nationalisten und afrikanische Freiheitskämpfer ließen nicht zu, dass Sozialisten und Kommunisten die via cruxis des Widerstandes für sich monopolisierten.

Angesichts der bereits begangenen und noch anstehenden 50. Jahrestage des chilenischen Putsches vom 11. September 1973, der portugiesischen Nelkenrevolution vom 25. April 1974 und des Todestages des spanischen Diktators Francisco Franco am 20. November 1975 ist mit heftigsten politischen Kontroversen um das materielle, institutionelle und ideologische Erbe der Diktaturen zu rechnen. Die Debatte um die Aufarbeitung der iberoamerikanischen Diktaturen wird auch auf lange Sicht nicht abebben.